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Hibernation von Europäischen Landschildkröten

Beschäftigt man sich mit der tier- und verhaltensgerechten Haltung und den Ansprüchen Europäischer Landschildkröten, darf die Frage der richtigen Überwinterung nicht außer Acht gelassen werden. Diese stellt ganz häufig für den Halter ein Problem dar. Die Hibernation ist ein essentieller Bestandteil des Lebens dieser Tiere und sollte bei einer artgerechten Haltung keinesfalls unterbleiben und sollte bereits im ersten Lebensjahr der Tiere durchgeführt werden. 

Exogene Faktoren

In der freien Wildbahn sind Temperaturschwankungen sowie Veränderungen in der Fotoperiode eng miteinander korreliert. Diese exogenen Faktoren – also von außen beeinflusste Abläufe - dienen als Indikator für das In-Gang-Setzen und den Ablauf endogener Zyklen. Hierzu zählen neben Temperatur und Fotoperiode auch Feuchtigkeit, verfügbares Wasser und die Beschaffenheit der Nahrung.

Der Gesamtkörperstoffwechsel funktioniert am Besten im Bereich der Körpervorzugstemperatur (POTZ – Preferred Optimal Temperature Zone). Dieser liegt bei Europäischen Landschildkröten bei ca. 35 °C Körperinnentemperatur. In der Natur wird dieses Temperaturoptimum in den Sommermonaten erreicht. Gegen Ende des Jahres nimmt die Temperatur mit den Sonnenstunden und der Strahlungsintensität immer weiter ab und somit geht auch die Aktivität der Tiere zurück und ihr Fressverhalten ändert sich. Somit werden fallende Temperaturen im Herbst häufig als Indikator für die Einleitung der Winterruhe bei Reptilien gesehen.

Landschildkröten stellen sich unter Freilandbedingungen selbst auf die Hibernation ein, indem sie die Nahrungsaufnahme reduzieren und allmählich einstellen sowie den Darm zum größten Teil völlig selbständig entleeren, dabei aber noch immer relativ aktiv bleiben und keinesfalls sofort in einen Ruhezustand verfallen. Ebenso geht die allgemeine Aktivität zurück. Zweifelhaft erscheint gerade hinsichtlich dieser Tatsache die immer noch propagierte „totale Darmentleerung“, da die Tiere dabei einen Teil ihrer Darmflora verlieren.  

Wenn Reptilien mit niedrigen Umgebungstemperaturen konfrontiert werden, so senken sie während der Hibernation ihre Stoffwechselrate ab. Sie passen ihre temperaturabhängige Stoffwechselrate an die sinkenden Temperaturen an, da diese bei wechselwarmen Tieren temperaturabhängig zustande kommt, und können somit die Toleranz gegenüber Sauerstoffmangel steigern, sodass die Notwendigkeit zum regelmäßigen Gasaustausch weiter gesenkt werden kann.

Aber auch das Licht scheint ein wichtiger Faktor für die hormonellen Abläufe der Tiere zu sein. Es spielen sowohl die Lichtzusammensetzung bzw. Lichtqualität, die Lichtmenge sowie die Beleuchtungsdauer eine entscheidende Rolle.

Die Lichtmenge erreicht in der Natur häufig mehrere 10.000 Lux, selbst bei wolkenverhangenem Himmel. In menschlicher Obhut, speziell bei der Haltung in Terrarien oder in geschlossenen Räumen, können diese Werte kaum erreicht werden und auch der Einsatz entsprechender Lampen erzeugt nur einen Bruchteil der benötigten Intensität des Tageslichtes.

Die Beleuchtungsdauer reguliert die sogenannte „innere Uhr“ der Tiere. Der Frühling kündigt sich durch die Zunahme der Tageslänge an und im Herbst bereiten sich die Schildkröten beim Abnehmen der Tageslänge auf die Winterruhe vor. Hier scheint dem „dritten Auge“ und somit der Hypophyse eine entscheidende Rolle zuzukommen. Deren Reizung erfolgt jedoch nicht, wie bei Echsen, über das Parietalauge, das den Schildkröten fehlt, sondern direkt über das Auge und die Haut.

Endogene Faktoren

Diese Mechanismen sind hormonell gesteuert und werden durch die exogenen Faktoren wie die Verkürzung der Tageslänge und das Absinken der Temperatur sowie der Lichtintensivität induziert. Sie bestimmen den jahreszeitlichen und zirkadianen (tageszeitlichen) Rhythmus der Tiere und sind von den äußeren Umweltreizen abhängig.

Hier spielt vor allem das Hormonsystem der Tiere eine entscheidende Rolle. Eine zentral bedeutende Hormondrüse ist hier das sogenannte Pinealorgan oder auch die Zirbeldrüse. Diese ist stark lichtempfindlich und vermag über eine vergrößerte Schuppe (Fontanelle) im Schädeldach von einigen Reptilien Lichtreize aus der Umgebung aufzunehmen, bei den Schildkröten erfolgt die Reizübertragung über den Gesichtssinn. Die Zirbeldrüse gibt – je nach Lichtaufnahme – zentral wirkende Hormone ab; diese beeinflussen unter anderem Stoffwechselvorgänge sowie die Hormonausschüttung in Folgeorganen. Primär wird der Tagesrhythmus sowie die tägliche Aktivitätsphase der Tiere beeinflusst.

Die Hypophyse beeinflusst vor, nach und während der Überwinterung das Stoffwechselgeschehen der Tiere. Zum einen leitet ihre ansteigende Hormonausschüttung zum Ende der Hibernation die Vermehrungsphase bei beiden Geschlechtern ein, zum anderen ist sie auch für den Anstieg des Blutzuckerspiegels verantwortlich und spielt somit eine Rolle im Glykämiezyklus während der Überwinterung. Im Hypophysenvorderlappen wird TSH gebildet, was wiederum die Aktivität der Schilddrüse beeinflusst.

Die Schilddrüse stellt ebenfalls eine wichtige Drüse im Bezug auf die allgemeine Aktivität und Leistungsfähigkeit der Tiere sowie vor allem deren Stoffwechselleitung dar. Sie weist während der Überwinterung einen drastisch abnehmenden Aktivitätszyklus mit rapide sinkender Stoffwechselrate auf.

Die optimale Überwinterung

Grundsätzlich soll die Überwinterung der Tiere bei 4 - 6 °C (max. 8 °C) unter beständigen Bedingungen in verhältnismäßig trockenem Substrat und bei hoher Luftfeuchte erfolgen. Nach unserer Erfahrung hat sich Buchenlaub als Substrat bewährt, da es nicht zur Schimmelbildung neigt und die Tiere sich hervorragend darin eingraben können. 

Heu, Torfmull, Späne usw. bilden Staub und belasten Lungen und Schleimhäute und neigen zur Schimmelbildung. 

In freier Wildbahn bereiten sich die Tiere aufgrund der o. g. endogenen und exogenen Faktoren selbständig auf die Winterruhe vor. Auch bei einer Freilandhaltung ist dies häufig der Fall – hier ist wichtig, dass den Tieren für die Übergangszeit ein isoliertes Schutzhaus mit grabfähigen Untergrund (Erde, Mulch, Häcksel und Laub) zur Verfügung steht. Sobald die Tiere ruhen, sollten sie aufgrund unserer unstetigen Witterung jedoch in einen Kühlschrank überführt werden, um optimal überwintern zu können.

Sollten die Tiere in Innenanlagen gehalten werden, dann muss durch Reduzierung von Licht und Temperatur „künstlich“ über mehrere Wochen die Winterruhe eingeleitet werden. Hierfür werden Licht und Temperatur sowie das Futterangebot stufenweise reduziert, indem die Brennzeit der Lampen immer weiter verkürzt wird. Dies sollte in mehreren Stufen und einem mehrwöchigen Zeitraum passieren, damit sich die Tiere langsam an die kälteren Temperaturen anpassen können und der Stoffwechsel nicht entgleist. Warme Bäder sollten unterbleiben, da diese den reduzierten

Stoffwechsel wieder ankurbeln und so auch das Herz-Kreislauf-System belastet wird. Sie sollten besser Zugang zu Wasser haben und einmalig in kühlem Wasser gebadet werden. Das früher übliche, und teilweise immer noch als „Standard“ angesehene, durch lange warme Bäder erzwungene, unphysiologische Entleeren des Darmes sollte unterbleiben, da die Tiere dies einerseits bei der Hibernationsvorbereitung selbst „erledigen“ und andererseits so der Wasserhaushalt nicht beeinträchtigt wird und im Blinddarm ausreichend Darmflora für die spezialisierte Verdauung vorhanden bleibt.

Zur Überwinterungstemperatur muss nochmals festgestellt werden, dass diese bei 4 - 6 °C liegen sollte. In diesem Temperaturbereich sind die Tiere vollkommen inaktiv und bewegen sich so gut wie nicht mehr. Die Atem- und Pulsfrequenz ist auf ein Minimum reduziert und der Stoffwechsel läuft förmlich auf „Sparflamme“, sodass kein Fettabbau stattfindet. In diesem Zustand können die Tiere ohne Gewichtsverlust für mehrere Monate problemlos verharren. Bereits bei über 8 °C beginnt der Fettabbau in Gang zu kommen. Da jedoch alle Ab-, Um- und Aufbauprozesse eines Organismus über Enzymwirkungen ablaufen, Enzyme jedoch temperaturabhängig wirken, läuft der Fettabbau zur Energiegewinnung nur unvollständig ab. Die dabei vermehrt anfallenden Zwischenabbauprodukte sind z. T. giftig bzw. leberschädigend und können zu zum Teil tödlichen Leberstoffwechselstörungen führen. Im Prinzip ist eine nicht optimale Überwinterungstemperatur, in Kellern, Lichtschächten, auf Dachböden oder ungeheizten Räumen (z.B. Schlafzimmern) durchaus vergleichbar mit "Nahrungsentzug während der Aktivitätszeiten" und somit nicht nur der Gesundheit der Tiere nachhaltig abträglich, sondern tierschutzwidrig. 

Um eine entsprechend gleichbleibend niedrige Hibernationstemperatur gewährleisten zu können, kann ein Kühlschrank sehr gute Dienste leisten. Dies mag im ersten Moment bizarr erscheinen, hat sich aber in der Vergangenheit sehr gut bewährt. Es genügt 1-2 Mal wöchentlich die Türe zu öffnen, um den Luftaustausch zu gewährleisten. Eine Kontrolle des Gewichtes der Tiere sollte regelmäßig aber nicht zu oft erfolgen.

Am Ende der Hibernation können die Tiere wieder in ihre isolierten Schutzhäuser verbracht werden, die allerdings jetzt über Wärmemöglichkeiten (Lampen, Keramik/Dunkel-strahler,…) verfügen sollten. Schildkröten, die im Innengehege (vorübergehend) gehalten werden, müssen jetzt wieder stufenweise an ihr optimales Temperaturspektrum (POTZ) hochgewärmt werden, wobei parallel hierzu die Beleuchtungsdauer und Lichtintensität gesteigert wird.

Jede Schildkröten jeden Alters, also auch Jungtiere im ersten Lebensjahr, sollen überwintert werden! Auch ein wenige Wochen alter Schlüpfling hat nur durch die Dottermassen, die er vor dem Schlupf aufgenommen hat, genug Reserven, um eine mehrmonatige Winterruhe problemlos zu überdauern, sofern adäquate Umweltbedingungen im Sinne von Temperatur und Luftfeuchtigkeit gewährleistet sind. Wenn dem nicht so wäre, dann hätte die Auslöschung der Schildkrötenpopulationen bereits mit der ersten Nachzuchtgeneration beginnen müssen. 

Winterschlaf-Check

Beim Tierarzt sollten folgende Dinge untersucht werden:

  1. Kotuntersuchung – mit einer wichtigen Einschränkung: es macht keinen Sinn, eine Kotprobe Ende Oktober zu untersuchen, wenn die Tiere quasi schon im Winterschlaf-Modus sind. Denn sollte ein Wurmbefall festgestellt werden, der therapiewürdig ist, hat man jetzt spätestens ein Problem, da die Therapie mehrere Wochen erfordert.
  2. Optional: Blutuntersuchung, um schon im Vorfeld abzuklären, ob ein Nieren- oder Leberschaden vorliegt. Sollte ein Organschaden vorliegen, kann es sein, dass die Tiere nur für eine kurze Zeit (6 - 8 Wochen) in Hibernation gegeben werden können.
  3. Generell ist es nicht massiv gesundheitsschädlich, allerdings auch nicht ratsam, wenn weibliche Tiere mit noch nicht abgelegten Eiern in die Winterruhe gehen. Man sollte jedes weibliche Tier daher röntgen, das sonst regelmäßig Eier legt, dies aber im betreffenden Jahr nicht getan hat. Dann ist es wichtig, anhand des Röntgenbildes zu beurteilen, „wie alt“ die Eier sind